Spielerjahre

Spielerjahre – “Der Duft der Freiheit”

Textpassagen aus der Autobiographie von Petre Ivanescu

Petre spielt bei Dinamo Bucarest Feldhandball1959

(…) Mitte Juli 1956 hatte ich meinen ersten Auftritt beim Sportklub Dinamo Bucarest. Ich wurde von Lucian Popescu in Empfang genommen, der genau wie ich als Handballer zur Sportkompanie einberufen worden war. Eine schicksalshafte Begegnung, denn wir wurden später unzertrennliche Freunde fürs Leben und unser Verhältnis ist heute sogar brüderlich. Er brachte mich damals zu einem Büro, wo ich meinem zukünftigen Trainer vorgestellt wurde. Ich traf zur richtigen Zeit, am richtigen Ort den richtigen Mann: Oprea Vlase.
Mein erstes Training in der Kaserne mit der neuen Mannschaft blieb mir für immer in Erinnerung und beeinflusste ein Stück weiter meine Einstellung als Sportler. Der Trainer ordnete ein Spiel „die Neuen gegen die Alten“ an auf einem  Kleinfeldplatz mit grober, schwarzer Asche. Die Atmosphäre war vom ersten Moment an angespannt und der Ehrgeiz des Einzelnen sowie der Wille, sich und seine Position zu beweisen, waren enorm. Man spürte regelrecht eine Art Existenzkampf. Wir waren mindestens 25 Spieler auf dem Feld, davon acht oder neun Neue und viele von den Alten mussten jetzt zeigen, ob sie in der Mannschaft bleiben konnten. Die Meisten von ihnen hatten ihren Militärdienst beendet und hofften auf einen guten Arbeitsplatz, eventuell sogar als Offiziere! So wurde in diesem ersten Spiel mit ziemlich harten Bandagen gekämpft. Wir, die Neuen, gewannen, obwohl wir zum ersten Mal zusammen auf dem Platz standen.

1957Rumänische Landesmeisterschaften im Hallenhandball

Im Winter 1956/1957  fand in der einzigen brauchbaren Sporthalle Floreasca in Bukarest ein Hallenhandballturnier statt. Die besten Mannschaften der ersten Liga nahmen teil. Die Sporthalle war brechend voll und viele Zuschauer mussten sogar draußen bleiben. Obwohl mein Verein Dinamo Bucarest ein krasser Außenseiter war, schlugen wir alle. Eine Riesenüberraschung und wir wurden damit der erste offizielle Hallenhandballmeister Rumäniens. Nach dieser Errungenschaft spürten wir deutlich mehr Aufmerksamkeit von Seiten der Vereinsführung. Es wurde uns erlaubt, als einfache Soldaten unser Mittagessen in der Offizieskantine einzunehmen.

v.l.n.r. stehend: Petre Ivanescu, Tudor Ristoiu, Oprea Vlase (Spielertrainer), Liviu Olteanu, Aurel Barbu, Ion Martini, Constantin Tanasescu, Tiberiu Lusca, Mihai Redl, Gheorge Covaci, Ion Medesau.

1958Erster Pokal für Petre als Spieler bei Dinamo Bucarest

Als Aufsteiger im Feldhandball holten wir 1958 direkt den Titel. Im Endspiel schlugen wir Steaua Bukarest mit 18:17 Toren. Unser Siegestor schoss ich, was mir noch mehrere Jahre den Unwillen des gegnerischen Trainers Ion Kunst einbrachte.

Mit Dinamo am Schwarzen Meer

Der Nationaltrainer Ioan Kunst konnte mich nicht mehr länger ignorieren, und ich wurde für die Nationalmannschaft nominiert, die an der Hallenhandball WM in der DDR 1958 teilnehmen sollte. (…) Während der WM verloren wir nach einem Unentschieden gegen Ungarn im Spiel gegen Finnland in der letzten Sekunde und schieden somit bereits in der Vorrunde aus.

1958_2Wieder zu Hause in Bukarest hatten wir es schwer der Berichterstattung der WM zu folgen, da Rumänien, als kommunistisches Land, von der internationalen Berichterstattung abgeschnitten war. Mir wurde zugetragen, dass die ausländischen Medien berichteten, dass ich in die Weltauswahl gewählt worden war. Ich konnte mich aber nicht vergewissern, ob es stimmte oder nicht.  (…)

1959_2Petre als Mannschaftskapitän

Die Jahre 1959 und 1960 waren Handball-Lehrjahre für mich. Unsere Lehrmeister waren die Kopenhagener-Auswahl und die Spieler von Dukla Prag. Einen großen Teil der Vorbereitungen für die WM 1961 haben wir in Cluj (Klausenburg) absolviert, wo endlich eine große Halle für 4000 Zuschauer fertig gestellt war. Die Trainer Oprea Vlase und Nicolae Nedef waren jeden Morgen 4-5 Stunden in der Halle und die Spieler kamen zu zweit oder zu dritt oder auch einzeln zum Individualtraining. Die Trainingseinheiten wurden anaerob mit Belastungen bis an die physische und psychische Grenze des Einzelnen durchgeführt.

1961Ein Meistertitel nach dem anderen

Mit Dinamo Bucarest hielten wir den Meistertitel im Feldhandball bis dieser abgeschafft wurde. Im Hallenhandball dominierten wir ebenfalls und blieben Rumänischer Meister.

Mit vollem Körpereinsatz zum Sieg

WM in Deutschland! Wir landeten in Düsseldorf und quartierten uns in der Duisburger Sportschule Wedau ein. Während wir auf die Zimmereinteilung warteten, sahen wir auf dem Tisch eine deutsche Zeitung liegen. Eine Zeichnung zierte den Titel, die zeigte Schweden, Dänemark, die Tschechoslowakei und die deutsche Ost-West Auswahl an einem Tisch sitzend und Poker spielend. Weit im Hintergrund war Rumänien karikiert, als Zuschauer und somit krasser Außenseiter. Aber es sollte ja alles anders kommen als wir in dem Moment noch glaubten.

1961_3Es war gut, dass wir zuerst gegen Japan spielten, weil wir mit 38:10 Toren gewannen und so ein ungeheures Selbstvertrauen erlangten. Danach kam der schwere Brocken mit dem Gegner Tschechoslowakei. Wir kannten die Spieler, weil wir sie im Europacup der Meister ausgeschaltet hatten. Aber es waren Handballgrößen, die wir bewunderten. Die Mischung aus Respekt und Bewunderung lähmte irgendwie unsere Beine und wir verloren mit 8:12 Toren.
Das nächste Spiel konfrontierte uns mit einem unserer Lehrmeister – die Auswahl aus Dänemark, die wir mit 15:13 Toren bezwangen. Man konnte förmlich sehen, wie wir als Team wieder Aufwind bekamen und aufspielten. Die Spieler waren ernster geworden und der Wettkampf hatte seinen Prozess der Verinnerlichung begonnen.

1961_WM_Rumaenien_DDR_Sieg mit blauem AugeMit jedem Sieg, dem Finale immer näher

Vor dem Spiel gegen die deutsche Ost/West Auswahl kam uns, die für unseren Geschmack etwas überhebliche Aussage der Deutschen Trainer Seiler und Vick zu Ohren: „Keine Sorge, wir haben die Rumänische Mannschaft sehr gut studiert!“  Im Nachhinein bin ich überzeugt, dass das unseren Kampfgeist enorm geschürt hat. Wir gewannen die Begegnung mit 12:9 Toren in Krefeld. Meine flachen, schnellen Unterarmwürfe führten immer wieder zu Toren, die den Gegner enorm frustrierten. (…) Das Endspiel rückte näher. Nur noch eine Begegnung mit Norwegen trennte uns davon. (…) Wir gewannen das Spiel mit 16:14 Toren und waren im WM-Finale!

12_1961_WM_Rumaenien_DDR_2Mentale Arbeit zur Vorbereitung aufs Finalspiel

Wir wurden mit dem Bus in die Dortmunder  Westfallenhalle gefahren. Ich nutzte die Fahrt, um es mir im Bus bequem zu machen und schloss die Augen. Das stieß auf Unverständnis bei meinem Sitznachbarn, der glaubte, ich schliefe ganz entspannt vor so einem Endspiel. Das waren meine ersten Erfahrungen mit der Autosuggestion und der totalen Entspannung für den großen Moment. (…)
Wir machten uns in den sogenannten Katakomben der Westfallenhalle warm und ich musste meine rechte, lädierte Schulter besonders sorgfältig aufwärmen. Die berühmte Dortmunder Westfalenhalle war brechend voll mit über 13.000 Zuschauern besetzt. Wir waren alle überwältigt, denn vor so vielen Zuschauern hatten wir noch nie gespielt!
Wie im Fieber, fing ich langsam an, meine Umgebung nicht mehr wahr zu nehmen. Ich erinnere mich an das Spiel als besonders schwer, denn die Konzentration, der innere Kampf und der Siegeswille, die nötig waren, um die starke, tschechoslowakische Abwehr und einen Klassetorwart wie Jiri Wicha zu bezwingen, waren enorm. Dazu noch die Schultermerzen!

13_1961_WM Finale in Dortmund_Rum Nationalmannschaft_TschechoslowakeiDie Rumänische Handball-Nationalmannschaft wird erstmals und völlig unerwartet Weltmeister

Nach der regulären  Spielzeit stand es 7:7 Toren und nach zwei Mal fünf Minuten-Verlängerung  erneut unentschieden 8:8. In der zweiten 10 Minuten-Verlängerung  fühlte ich mich wie bei Vlases Individualtraining, in dem ich unter hohen Belastungen anaerob bis zur Erschöpfung arbeiten musste. Es wurde immer schwerer, ein Tor zu erzielen. Die Torleute  Michail Redl und Jiri Vicha waren nicht zu überwinden.  Die ersten 5 Minuten verliefen ohne Torerfolg. Die zweite Verlängerung  drohte auch ohne Tore zu enden. In den letzten 15 Sekunden bekam Mircea Costache II den Ball am Kreis und erzielte das 9:8. Die Tschechoslowaken holten schnell den Ball zurück und zielten auf unser Tor, aber Redl  hielt und rettete somit unseren Sieg. Wir waren Weltmeister!

13B_1961_WM-Pokal_3Petre mit dem WM-Pokal

Die Siegerzeremonie war damals im Vergleich zu heute sehr einfach. Wir bekamen die Goldmedaillen in kleinen Schachteln überreicht ohne große Emotionen. Trotzdem war es einer der Momente in meinem Leben, den ich nie vergessen werde. (…) Zurück in Bukarest, folgte eine Überraschung: am Bahnhof warteten tausende von Menschen auf die Rumänischen Handball-Weltmeister. Sie jubelten auf den Gleisen und legten den ganzen Zugverkehr lahm.
Dieses rumänische Volk war begeisterungsfähig und nährte unseren Patriotismus auf ganz neue Art und Weise. Unsere Seelen spielten für sie und der weltweite Siegeszug des rumänischen Handballs fand dort und damals seinen Anfang. Jahrzehntelang wurden die Spieler auf dem internationalen Parkett von dieser Fangemeinde unterstützt und brachten in dieser Zeit vier Mal den Weltmeistertitel nach Rumänien.

(…) Der Siegesrausch war bald verflogen und der Alltag setzte ein mit einem Training, das genauso hart und intensiv war wie vor der Weltmeisterschaft. Mein Leben sollte sich trotzdem bald verändern durch die Entscheidung, zusammen mit meinen Handballkollegen Mircea Costache und Gheorge Badulescu erneut die Aufnahmeprüfung bei der Sporthochschule in  Bukarest zu wagen. Für mich war es der dritte Anlauf. Ich bestand und endlich durfte ich studieren. Für die nächsten vier Jahre entfernte ich mich von meinem Wunsch, im Westen Handball spielen zu wollen. Meine Abschlussprüfung zum diplomierten Sportlehrer bestand ich 1965.

Hartes Training für den nächsten Weltmeistertitel

Der Schwerpunkt meines Lebens im Jahr 1963 lag auf der Vorbereitung mit der rumänischen Nationalmannschaft auf die Weltmeisterschaft 1964. Die Trainingseinheiten zogen in der Intensität an, da die Trainer unter Druck standen. Das Ziel hatte man ihnen unmissverständlich von Seiten der kommunistischen Sportführung vorgegeben: erneut den Weltmeistertitel holen, gemäß der russischen Lehre „Quantität erzeugt Qualität“.  Diese Maxime wurde gelebt und sportlich ohne Rücksicht auf das Privatleben der Spieler umgesetzt. (…) Trainer Oprea Vlase erkrankte während der Trainingsphase und an seiner Stelle wurde mein Feind Professor Kunst als Nationaltrainer berufen.

15_1964_WM_2Auf dem Weg zum zweiten WM-Titel

Vor unserer Reise nach Prag im Januar 1964 absolvierten wir noch zwei leichte Trainingseinheiten. Bei dieser WM hatten wir ein schweres Los, denn wir gehörten zu einer starken Gruppe und mussten unter anderem die Sowjetunion und die Mannschaft unseres Gastgeberlandes besiegen, um uns weiter zu qualifizieren. Keiner von uns wusste, was uns erwartete. Die Meinungen der Medien waren gemischt, und wir spürten, dass keiner so richtig an einen erneuten Weltmeistertitel glaubte. Auch Prof. Kunst und Nicu Nedef, unsere Trainer, waren nicht überzeugt! (…)

(…) Wir gewannen alle Spiele, inklusive das schwere Spiel gegen die Sowjetunion. Es folgte das Spiel der Spiele dieser WM von 1964 gegen den Gastgeber die Tschechoslowakei in Bratislava, in einer neuen Halle mit über 17.000 Zuschauern. (…) Jeder von uns wusste, dass der Gewinn dieses Spiels zu 70% den Weltmeistertitel bedeutete, und so waren wir alle bereit, die Härte des Spiels zu akzeptieren. Wir funktionierten als Mannschaft besser und gewannen das Spiel. Damit überraschten wir alle. Am meisten waren wir und die Trainer überrascht! Das Publikum war wütend. Die wenige Fans, die leicht zu erkennen waren, weil sie mit wehenden, rumänischen Fahnen zu uns auf das Feld kommen wollten, wurden daran gehindert und bezogen auch noch Prügel.

Endspiel WM 1964

Das Endspiel bestritten wir gegen Schweden. (…) Die Halle war erneut ausverkauft und das Publikum gegen uns, weil wir die Gastgebermannschaft geschlagen hatten. Die Schweden waren hervorragende Spieler und weniger erschöpft als wir nach ihren relativ einfachen Gruppenspielen. Trotzdem kontrollierten wir das Spiel und führten immer mit ein paar Toren. Aber in den letzten Minuten des Spiels holten sie auf. Durch mein hohes Fieber bewegte ich mich wie im Nebel. Was geschah, erzählten mir später meine Kollegen. Sie sagten, ich hätte ständig den Ball verlangt und geworfen –  immer auf den Innenpfosten, der den Ball ins Tor katapultierte. Es folgten zwei weitere spektakuläre Tore von Virgil Hnat, und wir waren wieder Weltmeister. Wer hätte das gedacht!

1965_2Dinamo Bucarest ist erneut Sieger des Europacup, Mannschaftskapitän Petre Ivanescu mit dem Siegerpokal

Unsere Mannschaft Dinamo Bucarest funktionierte und wir blieben auf Erfolgskurs. Im Wettbewerb um den Europacup der Landesmeister gelangten wir ins Endspiel gegen Medvescak Zagreb. Es gab nur diese eine Begegnung, die in Frankreich in Lyon stattfand. Wir gewannen das Endspiel ziemlich souverän. Ich war zufrieden mit meiner Leistung, besonders in der Deckung, aber auch im Angriff, denn ich warf die meisten Tore. Nach dem Spiel fand eine große Feier im Keller Beaujolais mit Baguette und Rotwein statt. Eine unvergessliche Nacht!

Ein Vorfall verhalf mir – wie so oft in meinem Leben – zu einer Entscheidung. Im Sommer 1966 eröffnete mir mein Trainer vor dem Einzeltraining, dass er mich in der nächsten Spielsaison nicht mehr brauchen würde. Ich war geschockt! Warum verzichtete er auf einen seiner besten Spieler? Das konnte ich kaum fassen. Gerade war ich maßgeblich beteiligt an dem Sieg des Europacups der Landesmeister und ich war 29 Jahren jung und voll motiviert! Ich ließ mir nicht anmerken wie betroffen ich war und absolvierte das Training wie immer. Danach ging ich nach Hause, konnte gar nichts essen und las ein Buch bis in den frühen Morgen! Ich hatte kein Auge zugemacht und mir war auch nicht bewusst, was ich gelesen hatte. Die Orientierungslosigkeit hatte mich voll im Griff – ich wusste nicht, was ich jetzt anfangen sollte mit meinem Leben!

1965Ehrentafel für das erfolgreichste Handballteam des Sportclubs Dinamo Bucarest

Mit Dinamo Bucarest waren wir wieder auf Erfolgskurs. In der Rumänischen Meisterschaft gewannen wir alle Titel und im Europacup der Landesmeister erreichten wir das Finale (6x Europacup Gewinner von 1959-65)

Die WM 1967 fand ohne Petre statt

Die Meisterschaftsrunde im Jahr 1967 neigte sich dem Ende zu und gleichzeitig auch meine Beschäftigung als Handballspieler bei Dinamo Bucarest. Die Rumänische Nationalmannschaft sollte an der WM 1967 in Schweden teilnehmen und Prof. Kunst bat mich im Vorfeld zum Gespräch. Gheorghe Gruia sollte meine Position halbrechts übernehmen und ich hätte die Mittelposition besetzen sollen. Eigentlich ein logischer Gedanke, aber ich entschied mich spontan und lehnte ab! Ich wollte als erfolgreicher Spieler aus der Nationalmannschaft ausscheiden. Ich verfolgte die WM 1967 im Fernsehen und litt sehr, dass ich nicht aktiv dabei war.

Und wieder half das Schicksal: Lucian Grigorescu, Generalsekretär des Rumänischen Handballverbandes, kam nach dem letzten verpatzten nationalen Meistertitel auf mich zu. Und ohne viele Worte kam er gleich zur Sache und fragte mich, ob ich interessiert sei, für ein Jahr in Westdeutschland zu spielen? Kaum hatte die Frage mein Hirn erreicht, sagte ich schon „ja“ ohne mich mit irgendjemanden und vor allem nicht mit meiner Freundin Dana zu besprechen. Die Freigabe galt für zwei Spieler, die den Weltmeistertitel trugen. Nominiert waren Gil Hnat und ich. Ein paar Tage später erfuhr ich, dass Präsident Ceausescu persönlich die Freigaben unterschrieben hatte. Für ihn war das eine „politische Geste“ gegenüber Westdeutschland, da Rumänien interessiert war, als erstes Ostblockland, diplomatische Beziehungen mit dem Westen aufzunehmen. Im Jahr 1967 war das tatsächlich eine politische Sensation!

17_1967_PhönixEssen_Spielertrainer_2Petre spielt in Deutschland bei Phönix Essen in der Zweiten Liga

Mein neuer Verein hieß Phönix Essen, eine Mannschaft aus der Regionalliga, das kommt der heutigen Zweiten Liga nahe. (…) Ein gewisser Genosse Paun, Mitglied der Rumänischen Sportführung, hatte uns klar gemacht, dass wir die Investitionen des Rumänischen Staates in uns Sportler jetzt zurückzahlen müssten! Ich musste per Vertrag zusichern, monatlich 800 Mark an den Rumänischen Staat abzuliefern. Das war damals für mich eine Riesensumme, und ich wusste nicht einmal wie viel ich bei Phönix Essen verdienen würde. (…)

Am ersten Sonntag nach meinem Antritt in Essen fand ein Freundschaftsspiel statt. Üblicherweise kamen zu solchen Begegnungen der Regionalliga zwischen fünfzig bis hundert Zuschauer, aber an dem Tag waren über sechshundert Zuschauer in der Halle. Ich staunte nicht schlecht. Vor Spielbeginn wurde ich über die Lautsprecher vorgestellt und auch meine Mannschaft war vollständig angetreten – einige Spieler darunter mit deutlichen Pfunden zu viel.

Das Spiel wurde angepfiffen und beim ersten Ballkontakt den ich hatte, behandelte mich ein Gegner so brutal, dass ich gezwungen war den Ball hinter meinem Rücken zu dribbeln in Erwartung, der Schiedsrichter pfeife Foul. Stattdessen forderte er mich frech auf, den Ball abzugeben! Jedes Mal, wenn ich den Ball weiter spielte, war die Aktion beendet, da sich meine ziemlich unbeweglichen Spielerkollegen hoffnungslos in den Fängen des Gegners verhedderten. Ich begann sowohl den Mut als auch die Hoffnung wegen dieser desolaten Mannschaft zu verlieren. So einen Handball hatten wir nicht einmal als junge Anfänger gespielt!

Am Montag vor dem Training teilte man mir mit, der Trainer hätte nach dem Spiel gekündigt und ich wäre nun der neue Spielertrainer mit einem Gehalt von 250 Mark monatlich. Ich war sprachlos, fühlte mich wie ein Nichtschwimmer, der ins tiefe Wasser geworfen wird.
(…) Es war schon Oktober und ich hatte telefonisch den Rumänische Handballverband informiert, dass unsere Vereinbarung über achthundert Mark Einzahlung nicht möglich wäre, weil ich gar nicht so viel verdiente. Sie waren gierig, wenigstens meine zweihundertfünfzig Mark Trainergehalt  zu kassieren und forderten das auch massiv ein. Ich war restlos bedient.

18_1970_PhönixEssen_SpielertrainerDie ersten Bundesligaspiele als Spielertrainer

In der Meisterschaft führten wir mittlerweile die Tabelle an und alle waren sehr optimistisch. Die Raumerhalle in Essen-Frohnhausen war immer noch gut besucht, die Presse schrieb weiterhin positive Berichte über uns und langsam fühlte ich mich auch besser in der Fremde. (…) Für einen Neuling war es damals, genau wie heute, sehr schwer in der Bundesliga zu bestehen. Wir starteten die Saison 1969/1970 ausgerechnet mit einem Spiel gegen den Deutschen Meister VfL Gummersbach. (…) Ich war nach wie vor Spielertrainer und musste auf dem Platz meine Leistung zeigen. Wir gewannen das erste Bundesligaspiel gegen den VfL Gummersbach und das ziemlich deutlich. Das war eine kleine Sensation. Die ganze Stadt war euphorisch!

Eine noch größere Sensation folgte später, als beim nächsten Heimspiel die Essener Grugahalle mit sechstausend Plätzen ausverkauft war, und noch über tausend Tickets angefragt wurden.  (…) Die Meisterschaftsrunde lief für unsere Verhältnisse sehr gut, wir gerieten nicht in die Abstiegsgefahr und das bedeutete einen Riesenerfolg für einen Bundesliganeuling!
Wir beendeten die Meisterschaftsrunde auf einem besseren Tabellenplatz als im Jahr zuvor, und ich wollte die ersten Plätze in der Bundesliga in der kommenden Saison 1971/72 angehen, als man mich kündigte.

Meine Genehmigung der rumänischen Behörden für das Ausland beschränkte sich auf ein Jahr und auf die Mannschaft Phönix Essen. Für immer in Deutschland zu bleiben,  schien mir nun noch unmöglicher und nicht nur wegen der Familie in Rumänien.

Petre Ivanescu

    Dinamo Bukarest
  • 13maliger rumänischer Meister
  • 1965 Europameister
    Rumänische Nationalmanschaft
  • 205 Länderspiele in 10 Jahren
  • 1961 u. 1964 Weltmeister
  • 1961 Torschützenkönig der WM

Dokumentarisches Portrait

Ein Film von Johannes Krause

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