Jugendjahre

Jugendjahre – “Der Duft der Freiheit”

Textpassagen aus der Autobiographie von Petre Ivanescu

1939Petre als 3-Jähriger zu Beginn des 2. Weltkrieges

Erst im Alter zwischen vier und fünf Jahren wurde mir langsam bewusst, was eigentlich um mich herum geschah. Gegen die Mittagszeit verdunkelte sich regelmäßig der Himmel von Dutzenden von englischen Flugzeugen, die Richtung Bukarest flogen. Für Kinderaugen noch ein aufregendes Spektakel, warfen die Flugzeuge doch tonnenweise glitzernde Papierfetzen herab, um sich mit ihren silbernen Flugkörpern im Wirbel der in der Sonne flirrenden Streifen zu verlieren. Unmöglich vom Boden aus das Flugzeug klar auszumachen. Ich rannte zu meiner Mutter, die mich in den Arm nahm und mir Trost und Schutz gab. Die Angst jedoch blieb.

Jugend zwischen Politik und Sport

Wir waren drei Brüder: Constantin, Florin und ich als Jüngster. Alle hatten wir einen unterschiedlichen Charakter, geprägt durch die verschiedenen Erlebnisse, die wir in unserer Jugend hatten. (…) Wir lebten in Bukarest in einer kleinen Straße, nicht weit vom sogenannten Diplomatenviertel und der großen Sportanlage Dinamo entfernt, bei deren Entstehung auch mein Vater, der für die Finanzen verantwortlich war, mitgewirkt hatte. (…) Unser Alltag wurde beherrscht von der Angst. Wir alle lebten in zwei Welten: der da draußen und der innerhalb der Familie. Da draußen gingen die Kinder artig in die Schule und die Erwachsene zur Arbeit, wo man sich „politisch korrekt“ benehmen musste.  Die andere Welt war die Familie, wo jeder seinen Frust loswerden konnte. Die Gespräche zuhause waren laut und aggressiv. Vater hatte unsere Ländereien freiwillig an die Regierung abgegeben (später wären sie sowieso konfisziert worden) und trat in die Arbeiterpartei ein. Hochwahrscheinlich war diese Entscheidung notwendig, um in der Armee bleiben zu können und um Arbeit zu haben als Administrator. Die Verantwortung für drei schulpflichtige Kinder war ihm zu groß. (…)

Mit 15 Jahren war ich im Vergleich zu anderen immer noch sehr dünn, aber die vielen Stunden in der Sporthalle hatten meinen Körper drahtiger werden lassen. Mein Lehrer Herr Spirescu hatte aus seiner Passion heraus eine Feldhandballmannschaft gebildet. Auch ich war erstmals Teil seines Sportteams und wir wurden schon bald eine starke Mannschaft, weil das deutschsprachige Gymnasium aufgelöst wurde und viele gute Sportler zu uns kamen. Ich wurde als Kapitän gewählt und mit der Zeit war ich es, der die Mannschaft aufstellte.  Herr Spirescu selbst kam selten zu den Spielen. Wir Jungen machten das Spiel und in den zwei Jahren bis zum Abitur stiegen wir nie ab.

1954Erste Erfahrungen mit dem Leistungssport

Eines Tages kam Professor Spirescu auf mich zu mit einer Einladung für die Junioren-Nationalmannschaft.  Ich sollte an einem dreiwöchigen Vorbereitungstraining außerhalb der Stadt teilnehmen. Das war mein erster Kontakt mit dem Leistungssport. Am Eindrucksvollsten war für mich, dass es viel und gut zu essen gab. Wir bekamen Trainingsanzüge mit dem Emblem Rumäniens auf der Brust und Schuhe für Feldhandball. Den Rest der Ausrüstung haben wir improvisiert. Jeder besaß nur ein Trikot, eine Sporthose und ein Paar Socken. Aber all das war wunderbar. Für so etwas lohnte es sich damals zu kämpfen. Wir liefen viel, trainierten hart. Die Trainer gingen mit uns bis an unsere physischen und psychischen Grenzen.

Ich freundete mich im Trainingslager mit Neli Ionescu an. Am Ende des Trainingslagers wurden wir beide nicht für die Nationalmannschaft nominiert, obwohl wir gut waren. Mir passierte das noch weitere zwei Mal nach Einladungen zu Trainingslagern. Ich musste dadurch feststellten, dass ich wohl überhaupt nicht für den Handball-Leistungssport in Frage kam. Die Erklärung für die Absage kam von Professor Spirescu. Er sagte mir klar,es läge an meiner Herkunft und damit an meiner sozial-politischen Gesinnung. Als sogenannter „Petit Bourgeoise“ (Kleinbürger) war ich den Kommunisten zuwider. Und so war es schwer einen Reisepass für mich zu bekomme! Es wäre vielleicht möglich gewesen, wenn ich  eine sportliche Ausnahmeerscheinung darstellte, was ich aber nicht war.

(…) Ich kehrte nach dem Trainingslager zu meinen Eltern zurück. Neli hatte mich bereits im Trainingslager zu überzeugen versucht, dass unser Weg über die Sporthochschule Bukarest führen müsste, und wir sollten doch die Aufnahmeprüfung wenigstens versuchen. Das taten wir nach unserer Rückkehr und so meldeten wir uns an. (…) Neli und ich legten schlussendlich eine gute Prüfung ab, aber wir bekamen wie üblich das Zertifikat „bestanden ohne Studienplatz“. Wir waren ganz einfach unerwünscht. Mir wurde immer klarer, dass ich mich mit meinem Schicksal arrangieren musste. Ich war fast 19 Jahre alt.

1956Arbeit und Militärdienst

Ein einflussreicher Freund meines Vaters besorgte mir eine  Arbeitsstelle. Ich landete bei der Straßenbahngesellschaft. Mein Arbeitsplatz befand sich in der zweiten Etage eines fünfstöckigen Gebäudes in der Innenstadt von Bukarest.  Ich musste alle Ersatzteile für die Straßenbahn, die geliefert wurden, registrieren und kontrollieren, ob sie wirklich im Lager waren. Die Arbeit war langweilig, immer die gleiche Prozedur, aber umfangreich, so dass ich oft Überstunden machen musste.

Ich war keine Woche an dieser neuen Arbeitselle, da erschien ein Herr Radu Badescu in meinem Büro. Er war zuständig für sämtliche, sportlichen Aktivitäten der Straßenbahngesellschaft und war selbst mal aktiver Handballer gewesen. Schon bald spielte ich in der Feldhandballmannschaft der Gesellschaft in der 2. Liga. Jetzt hatte ich Arbeit, Kollegen, die ich mochte, und ich spielte wieder Handball. Ich war ziemlich zufrieden. Ich trainierte zwei Mal pro Woche, wurde von der Mannschaft sehr gut aufgenommen und gehörte in kürzester Zeit zu den Besten. Weil es keinen Linkshänder für die Position des Halbrechts in der Mannschaft gab, übernahm ich diese Position obwohl auch ich Rechtshänder war und blieb meine gesamte sportliche Laufbahn dort. (…)

Eines Tages kam eine Einladung des Innenministeriums für mich. Meine Eltern waren sehr beunruhigt, denn damals galt als sicher, wer da rein ging, kam nicht unbedingt wieder raus. Ich wurde von einem Offizier erwartet und in ein Büro gebracht, wo mich ein Oberst freundlich empfing. Ich musste mich hinsetzen, er gab mir einige Papiere und empfahl mir, diese zu unterschreiben. Erstaunt las ich, dass man mich zum Militärdienst einberufen wollte. Ich wurde der Feuerwehrkompanie zugeteilt, die, wie ich wusste, eigentlich die Dinamo Sportkompanie war.

Petre Ivanescu

  • 1936 geboren in Bukarest / Rumänien
Schullaufbahn nach dem Abitur
  • Besuch der Sportuniversität in Bukarest
  • 1965 Abschluß mit dem Diplom für Sport- und Leibeserziehung

Dokumentarisches Portrait

Ein Film von Johannes Krause

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